Grevenhagen, einstmals ein Dorf der Mollenhauer


v. Richard Heinekamp, Steinheim-Grevenhagen

Die Gemeinde Grevenhagen gehörte bis zum 31. 12. 1969 politisch zum Freistaat Lippe Detmold. Sie war eine lippische Exklave und soll einmal das Patengeschenk eines Paderborner Bischofs an einen Prinzen von Detmold gewesen sein. Wenn man bedenkt, daß 4 Paderborner Fürstbischöfe Abkömmlinge des lippischen Fürstengeschlechtes waren, dann dürfte diese Vermutung durchaus der Wahrheit entsprechen. Seit der kommunalen Neugliederung gehört der Ort zur Stadt Steinheim/Westf. und zum Kreis Höxter.
Soweit man die Geschichte des Dorfes zurückverfolgen kann, lebten die Bewohner in erster Linie von der Landwirtschaft. Da es sich meistens um kleinbäuerliche Betriebe handelte, wurden noch nebenberufliche Tätigkeiten wie das Handwerk der Drechsler und Leineweber oder die eines Waldarbeiters ausgeübt. Helmut Riemann erwähnt in seiner Abhandlung „Vom Ursprung der Gemeinde Grevenhagen", daß bereits im Jahre 1545 das Handwerk der Mollenhauer unter diese Nebentätigkeit fiel. In einem Ortsverzeichnis des Bauernrichters Heinekamp aus dem Jahre 1822 wurden von 28 Hausbesitzern bereits 11 im Nebenberuf als Mollenhauer bezeichnet. Seit wann es aber tatsächlich die ersten Mollenhauer hier gab, läßt sich leider nicht mehr nachweisen. Mit Sicherheit jedoch wurde dieses Handwerk seit vielen Jahrhunderten vom Vater auf die Söhne weitergegeben.

Die Ausbildung
Eine Lehr- oder Ausbildungsordnung mit einer abgeschlossenen Gesellenprüfung, wie wir sie heute im Handwerk kennen, hat es niemals gegeben. Bereits im schulpflichtigen Alter gingen die Jungen dem Vater zur Hand und durften sich schon mal im Gebrauch des Handwerkszeugs üben. Erst allmählich lernten sie die selbständige Arbeit auszuführen.

Was stellten die Mollenhauer her?
Gefertigt wurden von den Mollenhauern Tröge, Mollen, Fauchen, Wurfschüppen, Füllen für den Wäsche- oder Schweinetopf, Wäscheklöpper und zum Teil auch Löffel. In erster Linie wurden Pappeln, aber auch Weidenstämme verarbeitet. Dieses Holz ist leicht und läßt sich gut verarbeiten. Für die Wurfschüppen wurde schon mal, für die Buttermolle und den Wäsche-klöpper fast nur Buchenholz verwendet.

Der Trog: Er war etwa 2 m lang, 60 cm breit und 40 cm tief. In ihn wurde das geschlachtete Schwein gelegt und mit fast kochendem Wasser abgebrüht. Dadurch lösten sich die Borsten von der Haut. Mit kleinen sogenannten Glocken, die aus Metall waren, wurden sie anschließend abgekratzt. Er diente aber auch zum Einpökeln der Schinken, Speck und des Kleinfleisches. Als auf den Dörfern die Hausfrau noch selbst das Brot für die Familie backte, wurde im „Backetrog" der Brotteig hergerichtet. Die Lebensdauer eines Troges erreichte bei richtiger und sorgsamer Pflege etwa 50 Jahre.

Die Molle: Um die Arbeit der Mollenhauer auch einträglich und wirtschaftlich zu gestalten, wurde aus dem Trog noch eine Metermolle gewonnen. Mit einer sehr scharfen Axt wurde etwa 8 cm von den Längsrändern eine möglichst tiefe Rille gehauen. Das gleiche vor beiden Kopfenden, allerdings breiter und tiefer. Mit Keilen aus Buchenholz und Stemmeisen wurde die Molle aus dem Trog ,,herausgekluftet". Derselbe Vorgang wiederholte sich, um aus der Molle noch ein Fauchen zu erhalten. In der Molle wurde hauptsächlich die Wäsche gewaschen. Aber auch beim Schlachtfest fand sie eine vielseitige Verwendung. Sie diente zum Reinigen und Waschen der Därme. In ihr wurden das gekochte Fleisch geschnitten und die Würste nach ihrer Fertigstellung gelagert.

Die Buttermolle: Sie war etwa halb so groß. In ihr wurde die Butter gewaschen, geknetet und „gewellt". Zum Kneten wurde ein handgroßer, flacher Löffel verwendet. Die Hausfrau warf zum Schluß die Butter etwa 50 cm hoch. Sie fing sie mit der Buttermolle wieder auf. Durch die Rundung erhielt sie ein wellenförmiges Aussehen. Das aus der Molle gewonnene Fättchen erhielt im Haushalt eine mannigfache Verwendung.

Die Wurfschüppe: Sie wurde überwiegend von Bauern und Landwirten benutzt. Mit ihr wurde nach dem Dreschen - soweit es noch mit dem Dreschflegel geschah - das Getreide hochgeworfen. Da die Spreu leichter als das Getreide war, lag sie nach dem Herunterfallen oben und wurde mit einem Handbesen oder einem Gänseflügel abgefegt. Nicht in jedem Jahr konnte die Ernte eingebracht werden. Soweit das Getreide nach dem Dreschen nachgetrocknet werden mußte, wurde es mit der Wurfschaufel umgesetzt. Da sie leicht und verhältnismäßig groß war, eignete sie sich auch vorzüglich zum Schneeschaufeln.

Die Schweinefülle: Sie hatte, wie die Wäschefülle, einen kurzen Stiel. Mit ihr wurde das Schweinefressen aus dem Topf geschöpft. Mit der Wäschefülle wurde die heiße Wäsche aus dem Wäschetopf genommen. Das hatte den Vorteil, daß die emaillierten Gefäße nicht zerkratzt wurden. Andernfalls hätte sich leicht Rost ansetzen können.





Johann Bäckeralf mit der Wurfschüppe.
Daneben sein letzter Trog, den er 1979 herstellte.
Foto: Heinz Wiemann Ahornstraße 34 4270 Borsten 21



Der Wäscheklöpper: Er war ebenfalls kurzstielig. Wenn die Wäsche am Bach gespült war, wurde sie auf das Waschbrett gelegt und mit dem Klöpper so lange geschlagen, bis sie kaum noch Wasser enthielt.

 

Die Schanne: Sie wurde meist auf Bestellung angefertigt. Hier handelt es sich um ein Tragejoch für Menschen. Sie wurde auf die Schulter gelegt und an beiden Enden eine dünne Kette angebracht. An die Ketten hängte die Bäuerin oder die Magd die Eimer, wenn wenn sie dreimal am Tage die Milch von der Weide holen mußten. So waren die Eimer leichter und bequemer zu tragen.

Die Arbeitszeit der Mollenhauer erstreckte sich in erster Linie auf die Spätherbst- und Winter¬monate. Man muß hierbei bedenken, daß die Männer - soweit es sich um Kleinbetriebe handelte - um diese Zeit arbeitslos waren und eine Unterstützung im heutigen Sinne unbekannt war.

 

Pappeln, Weiden und Buchen
Aus diesen Hölzern fertigten die Mollenhauer ihre Produkte an. Wenn die Bäume im Herbst ihr Laub abgeworfen hatten, wurden sie geschlagen. Diese Tätigkeit wurde fast ausschließlich von den Käufern selbst vorgenommen. Sie verstanden vorzüglich mit Axt, Keil und Säge umzugehen. Der Stamm mußte vorsichtig und fachmännisch behandelt werden. Er durfte beim Fällen nicht aufplatzen, da andernfalls sein Wert erheblich gemindert wurde. Eine ausgewachsene Pappel oder Weide mit einem Durchmesser von etwa 80 cm erbrachte 8 Tröge, ebenso viele Mollen und Fättchen. Sehr beliebt war das astfreie und reine Weidenholz. Es war außerordentlich weich und leicht. Brauchbare Weidenstämme waren allerdings gar nicht so häufig anzutreffen. Buttermollen, Knetlöffel, Wäscheklöpper und teilweise auch Wurf-schüppen wurden, wie schon erwähnt, auch gern aus Buchenholz hergestellt. Es mußte sich dabei aber um einen ansehnlichen Stamm handeln, denn er wurde ,,achtklüftig" gespalten. Die Bäume wurden von Privatleuten, überwiegend von Bauern, gekauft. Transportiert wurden sie mit Pferdefuhrwerken. Nicht selten mußten hierbei Entfernungen bis zu 30 km zurückgelegt werden. Ein Festmeter Holz kostete vor dem 2. Weltkrieg etwa 40,- RM.

 

Die Verarbeitung mit Axt und Säge
Sobald die Bäume beim Käufer angefahren waren, trat die Schrotsäge in Tätigkeit. Der Stamm wurde in die benötigten Längen geschnitten. Eine Motorsäge kannte man zu damaliger Zeit noch nicht. Nun mußte er gespalten werden. Hierzu wurden trockene Buchenkeile verwendet. Sie wurden in den Stamm getrieben. Als Schlaginstrument wurde die stumpfe Seite der Axt benutzt. Die Verwendung von Eisenkeilen kam deshalb nicht infrage, weil dann die Axt beschädigt und unbrauchbar geworden wäre. Nicht selten mußten 2 Keile übereinandergelegt werden, um die nötige Wirkung zu erzielen. Von den beiden gleichmäßigen Hälften wurde die Rinde vorerst nicht entfernt. Der Trog haftete durch sie besser auf dem Boden und verhinderte ein Wegrutschen bei der weiteren Bearbeitung.

 

Wenn Molle und Fättchen aus dem Trog herausgekluftet waren, erhielten alle Teile an den Enden Rundungen. Bei den Trögen wurden zusätzlich noch die Haltegriffe herausgearbeitet. Mit der scharfen Axt wurde alles überflüssige Holz entfernt. Der äußere Boden erhielt eine flache Seite, damit der Trog nicht mehr umkippen konnte. Schließlich wurde noch die Rinde abgeschält. Damit waren jene Arbeiten erledigt, die draußen, oft bei bitterer Kälte und ungemütlichem Wetter, ausgeführt werden mußten.

 

Die Feinarbeit
Den letzten Schliff erhielten alle Produkte - vornehmlich abends - in der Werkstatt oder einem sonstigen geheizten Raum. Hierbei habe ich beobachtet, daß selbst in der Küche solche Arbeiten ausgeführt wurden. Bis zum Jahre 1926 spendete eine Petroleum- oder Karbidlampe das erforderliche Licht. Oftmals konnte man an dem erleuchteten Raum erkennen, daß dort bis Mitternacht gearbeitet wurde. Die Feinarbeiten wurden mit dem Deißel -im Volksmunde so genannt - und dem Ziehmesser ausgeführt. Der Dechsel, so war die richtige Bezeichnung, war ein sehr kurzstieliges, quergestelltes und stark nach innen gebogenes Beil von außerordentlicher Schärfe. In der Herstellung dieses Gerätes war der Schmiedemeister Hoffmeister aus Langeland geradezu ein Spezialist. Mit ihm wurden die Innenseiten und der Boden bearbeitet. Sie wurden glatt bis auf die notwendige Stärke ausgehauen. Mit dem Ziehmesser wurden die äußeren Wandungen behandelt. Um sich die Arbeiten zu erleichtern, wurden die Tröge auf Holzblöcke gestellt. Für Mollen und Fättchen und alle andere Produkte genügte ein breiter Hauklotz. Teilweise wurden auch die Endrundungen der Tröge und Mollen mit einem leichten Bandeisen beschlagen, um so ein Reißen zu vermeiden. Natürlich konnte man nach der Fertigstellung auch Unterschiede hinsichtlich der sauberen und einwandfreien Ausführung aller Arbeiten feststellen. Die abfallenden Späne dienten als Heizmaterial.

 

Mollenhändler mit Pferd und Wagen
Normalerweise verkauften die Mollenhauer ihre Ware an Händler, aber auch Privatpersonen konnten von ihnen beziehen. 2- bis 3mal in der Woche konnte man den voll beladenen Pferdewagen beobachten. Namen wie Reinecke und Waldmann aus Feldrom oder Kleine aus Oeynhausen kannte jedes Kind. Erst Ende der zwanziger Jahre stieg der ehemalige Schäfer Ferdinand Mikus aus Grevenhagen mit seinem „Beifahrer und Bremser" Josef Weberbartold in dieses Geschäft ein. Nicht selten erstreckte sich ihre Fahrt bis in die Gegend von Soest. Oftmals kehrten sie erst nach einigen Tagen in ihre Heimat zurück. Aber nicht nur von Haus zu Haus boten die Händler ihre Ware an, sondern auch besonders auf den Märkten der Umgegend waren sie anzutreffen. Gerade dann war ihr Angebot außerordentlich groß und umfangreich. Bei der Festsetzung der Preise waren Größe, saubere Ausführung der Arbeiten und Qualität ausschlaggebend. Ein Ast im „Geschirr", wenngleich er nicht unbedingt schädlich war, minderte Wert und Ansehen.

 

Ein Handwerk ohne Zukunft
Den Rohstoff Holz haben die Menschen schon viele tausend Jahre bearbeitet. Aus ihm haben sie u. a. Gefäße und Schalen der mannigfachsten Art und für die verschiedensten Zwecke hergestellt. Im Zeitalter des Kunststoffes ist seine Bedeutung aber außergewöhnlich zurückgegangen. Hierbei spielen auch die verhältnismäßig hohen Preise eine Rolle. Nach dem 2. Weltkrieg nahm die Zahl der Mollenhauer immer mehr ab. Als die Schweinehaltung und die damit verbundene Hausschlachtung stetig zurückging, als nicht mehr „gebuttert" wurde und die Hausfrau kein Brot mehr selbst backte, ging der Bedarf an diesen Gegenständen so weit zurück, daß er bald völlig zum Erliegen kam. Darüber hinaus haben die jungen Menschen dieses uralte Handwerk überhaupt nicht mehr erlernt. Sicher ist damit auch ein Stück Romantik ausgelöscht und ausgestorben.




Quelle: Kreis-Höxter-Jahrbuch-Artikel von 1984
Zur Verfügung gestellt von Kreisheimatpfleger Martin Koch


Für das Internet übertragen: Uli Rüngener